Pflanzen sind an ihrem Standort festgewachsen und können vor Stressfaktoren nicht weglaufen, wie Tiere oder wie wir Menschen. Deshalb haben sie im Laufe der Evolution vielfältige Überlebenstricks entwickelt, um sich an alle möglichen Stresssituationen anzupassen.

In den meisten Fällen verbinden wir mit Stress Unwohlbefinden oder negative Auswirkungen und vergessen dabei einen sehr wichtigen Aspekt: Herausfordernde Situationen regen den Körper, an, neue Anpassungsund Überlebensstrategien zu finden. Diese Anregungen können bei uns Menschen kreative innovative Ideen hervorbringen oder das Immunsystem stärken. Genauso erfolgreich passen sich auch Pflanzen unter Stress neuen Situationen an. So gibt es überraschende Ähnlichkeiten von Stressbewältigung zwischen dem Pflanzen- und dem Tierreich.

Mechanismen zur Stressbewältigung

Stress ist ein Belastungszustand, der eine signifikante Abweichung von optimalen Bedingungen darstellt und zu unterschiedlichen Beeinträchtigungen der Entwicklung und des Stoffwechsels führt. Das können unbelebte Faktoren wie Niederschlag und Temperatur sein, oder belebte Faktoren wie z. B. Tiere und Pilze, welche für eine Pflanze Stress hervorrufen. Da dauerhafte optimale Zustände in der Natur eine Ausnahme sind, haben die ortsgebundenen Pflanzen vielfältige Strategien zur Stressbewältigung entwickelt. Dabei hat jede Pflanzenart ihre individuell ausgeprägten Belastungsgrenzen. Denn je nach ihrem Standort sind Pflanzen durch unterschiedliche Umweltfaktoren beeinflusst. Neben der Anpassungsfähigkeit von Pflanzen beeinflusst zusätzlich das Ausmaß, die Stärke und Dauer der Stresssituation die Pflanzenreaktion und führt zu reversiblen oder irreversiblen Schäden. Im schlimmsten Fall sterben Teile oder gar die ganze Pflanze ab. Egal wie die Stressreaktion ausfällt, sie ist mit einem Energieaufwand und oft auch mit Leistungseinbußen verbunden.

Um auf belastende Einflüsse energieeffizient reagieren zu können, wenden Organismen drei Mechanismen an. Erstens können sie dem Stress durch Veränderung des Lebensraums oder zeitlicher Aktivitätsmuster ausweichen (Stressvermeidung). Zweitens können sie eine verringerte Empfindlichkeit gegenüber dem Stressfaktor entwickeln (Stressresistenz). Drittens kann sich ein Organismus durch Heilung wieder vom Stress erholen (Restitutionsvermögen).

Stressvermeidung

Obwohl Pflanzen augenscheinlich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind, können sie dennoch Stress räumlich oder zeitlich ausweichen. Geophyten wie Tulpen (Tulipa), Narzissen (Narcissus) oder Schneeglöckchen (Galanthus) überdauern an ihrem natürlichen Standort mit Zwiebeln, ihren unterirdischen Überdauerungsorganen, den Winter im geschützten Bereich unter der Erde.

Einjährige Pflanzen hingegen wählen eine andere Vorgangsweise. Sie haben nur eine sehr kurze Lebensdauer und blühen und bilden ihren Samen innerhalb einer Vegetationsperiode aus. Die unwirtliche Jahreszeit verbringen sie als Samen im Boden. Bekannte Beispiele sind der Klatsch-Mohn (Papaver rhoeas), die Kornblume (Centaurea cynanus) oder die Echte Kamille (Matricaria chamomilla).

Für Pflanzen ist Sonnenlicht überlebensnotwendig. Ist die Sonne jedoch zu intensiv und der Überschuss an Strahlungsenergie für die Photosynthese nicht mehr nutzbar, können Schäden an den Blättern entstehen. Manche Pflanzen lagern z. B. Farbpigmente in empfindliche junge Blätter ein und schützen sie so vor schädigender UV-Strahlung. Andere Pflanzen wiederum haben im Laufe der Evolution ihre Blattoberfläche reduziert zu ledrig verdickten, nadelförmigen Blättern wie z. B. das Sonnenröschen (Helianthemum sp.) oder der Rosmarin (Rosmarinus officinalis). Betrachtet man die Blätter von Rosmarin genauer, fällt einem auf, dass die Blattränder nach unten eingerollt und filzig behaart sind. So schützt sich die mediterrane Pflanze vor starker Rückstrahlung des Bodens. Lavendel (Lavandula angustifolia), Königskerzen (Verbascum sp.) oder Salbei-Arten (Salvia sp.) sind mit hellen Haaren auf den Blättern ausgestattet. Diese weißen Haare erhöhen die Lichtreflexion und reduzieren damit die Strahlungsenergie, die auf die Blattoberfläche durchkommt. Außerdem vermindern die Haare die Windgeschwindigkeit bei ihren Spaltöffnungen und sind so ein effektiver Verdunstungsschutz!

Stressresistenz

Die Widerstandsfähigkeit gegen extreme Umwelteinflüsse ist immer eine Kombination aus Stressvermeidung und dem Vermögen, sich wieder zu erholen. Besonders die Hitzeund Kälteresistenz ist wesentlich von Alter und Art der einzelnen Pflanzenorgane abhängig. Wurzeln reagieren in der Regel sehr empfindlich auf extreme Temperaturen, weil sie im Boden normalerweise immer eine relativ gleichmäßige Temperatur vorfinden. Besonders sensibel sind auch junge Pflanzenteile, Blüten und sich entfaltende Blätter. Hingegen ist das ruhende Bildungsgewebe in Knospen außerordentlich resistent gegen Temperatureinflüsse.

Aufmerksame GartenbesitzerInnen konnten bestimmt schon einmal in ihrem Garten beobachten, dass Pflanzen an sonnigen, trockenen Plätzen, die nur einmal pro Woche, aber intensiv gegossen werden, besser mit Trockenphasen zurechtkommen als andere, die jeden Tag nur oberflächlich bewässert wurden. Durch so eine gezielte minimale Stressinduktion lassen sich Pflanzen abhärten, damit sie anschließend besser mit Trockenstress umgehen können.

Restitutionsvermögen

Pflanzen können mit Hilfe von Erneuerungsknospen und Regenerationsgewebe nach Stressschäden geschädigte Pflanzenteile wiederherstellen. Diese bemerkenswerte Leistung mancher spezialisierter Pflanzenzellen kann zum Beispiel an Sukkulenten beobachtet werden. Entfernen Sie ein Blatt von einer Echeveria und legen es auf feuchtes Substrat. Nach einigen Tagen können Sie feststellen, dass sich neue Wurzeln und Knospen bilden und so aus dem Blatt eine neue Pflanze heranwächst.

Stressfrei im Garten

Im Laufe der Evolution haben sich Pflanzen an ihre Umwelt angepasst und vielfältige Methoden zum Überleben auf ihren typischen Standorten entwickelt. Auch für die Gartengestaltung und Pflege sollte dieser Aspekt beachtet werden. Wenn Sie an Ihren Gartenstandort angepasste Pflanzen auswählen, können diese viel besser mit abweichenden Bedingungen umgehen als Pflanzen, auf deren Bedürfnisse nicht Rücksicht genommen wurde. Letztere müssen mit viel Aufwand am Leben erhalten werden und sind auch viel anfälliger für Krankheiten und Schädlinge. Es lohnt sich daher, sich vor dem Kauf und der Pflanzung über die Bedürfnisse der gewünschten Pflanzen näher zu informieren. Das verhilft auch dem Gartenbesitzer und der Gartenbesitzerin zu stressfreiem Gartengenuss!

 

von DI Christine Pavitschitz, Bio Forschung Austria

 

Der Artikel ist im Rahmen des Interreg Projektes SYM:BIO ATCZ234, welches durch den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung kofinanziert ist, entstanden.
Weitere Informationen zum Projekt: www.bioforschung.at/projects/symbio-at-cz/


Das könnte Sie auch interessieren